Freitag, 30. Juli 2010

Mehr Berlin

Eine der Lehren aus dem DDR-Alltag lautet: Wo schon eine Schlange steht, sollte man sich erstmal mit anstellen - und dann fragen, was es gibt. Berlin wächst weiter. Allerdings nicht aus seinen eigenen Reihen heraus, denn die "echten" Berliner pflanzen sich kaum noch fort (wandern seit Jahren aus der Innenstadt ab, v.a. in den Berliner Speckgürtel, wenn sie eine Familie gründen oder gegründet haben, das schwächt die Statistik), sondern aus externer Zuwanderung und dem so zugewanderten, anderen Paarungsverhalten. Und das, obwohl das bunte Leben an Spree und Havel immer mal wieder als nicht gerade kinderfreundlich gilt. Da hilft auch das bundesweit erste Gesetz, das Kinderlärm unter Artenschutz stellt, nichts. Angesichts des immer wieder erforschten Zusammenhangs, dass "Akademikerinnen" in Deutschland generell keine, wenige und/oder erst spät Kinder bekommen, müsste Berlin ja dann mindestens zum Löwenanteil oder unter Einheimischen voller Hochgebildeter sein. Schade ums schöne Proll-Image. Aber zum Glück gibt es ja die Neuberliner. Die somit kreisschlussartig ungemein ungebildet sein müssenden (sonst würden sie ja keinen Nachwuchs werfen!) Zuwanderer kommen nicht nur aus dem (vorwiegend östlichen) Ausland; sondern der subjektive Eindruck stimmt total erwiesenermaßen: Die Provinz vereinnahmt die Hauptstadt! Rette msich, wer kann! Auf der Countryside muss es ganz ganz grässlich sein, denn an den tollen Chancen hier kann es nicht liegen.

Wobei man sich natürlich auch mitten in der Krise und mitten in der Pleitestadt prima an kleinen Entspannungszahlen festhalten und hochziehen kann (bei denen allerdings die Beschäftigungszahlen noch nicht viel über Löhne und Gehälter aussagen). Au au, lasst dazu mal nicht Buschkowsky sich nochmal äußern auf seinem tapferen Kreuzzug! Auf jeden Fall gibt es neuerliche Hoffnungsschimmer, auch dazu, dass das Überaltern und Entfamilialisieren der Hauptstadt sich umkehrt. Neuerdings wird nicht mehr nur noch in Pankow und Prenzlauer Berg geboren, sondern auch und vor allem in Friedrichshain und Kreuzberg. Den Gedanken, wie viele echte Urberliner sich wohl ausgerechnet in diesen vier Bezirken noch aufhalten, Babies machen und dann den stylishen Jogger-Buggy durch die Szene schieben, verfolgen wir mal nicht allzu weit. Aber da der Berliner Dialekt ja ohnehin zum Soziolekt verkommt, muss man ihn wohl seufzend abschreiben, ebenso wie den Berliner Humor und die sprichwörtliche Berliner Schnauze.
Die These von den gebärenden Provinzprolls entkräftet leider: Vor allem Studierende zieht es nach wie vor in die Hauptstadt. Man muss ja mal 'ne coole Zeit verleben, ehe man die Sache mit dem Bausparvertrag und der glücklichen Kleingartenfamilie in Angriff nimmt oder an der straighten Karriere bastelt - dies natürlich dann woanders, wenn man sich genug ausgelebt hat. Was aber wird z.B. aus Nord-Neukölln, wenn es dort vor Studi-WGs wimmelt und es immer hipper, teurer und "wohnwertvoller" wird? Gefahren drohen nicht nur dem alteingesessenen Altberliner Asi-Atzen in Adiletten.

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